Es gibt im deutschen Recht – wie bei allem – einen Praragrafen, der die Selbstverteidigung klar regelt: §227 bürgerliches Gesetzbuch und §32 Strafgesetzbuch. Trotzdem lege ich Wert darauf, dass dieser Artikel meine persönliche Einschätzung darstellt und keine Rechtsberatung ist!!!
(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
Was heisst das, bezogen auf die Praxis?
Zu (1) – wenn ich mich gegen jemanden verteidige, der mich oder einen anderen angreift, darf ich mich wehren. Haut mir jemand eine rein, darf ich zurück schlagen. Haut jemand eine Oma in der Innenstadt, darf ich für sie zurück schlagen. Genauer geregelt wird das in (2).
Zu (2) – Notwehr ist eine Verteidigung, das heisst strenggenommen, jemand muss mich (z.B.) schlagen, dann darf ich zurück schlagen.
Dazu muss der Angriff gegenwärtig sein. Das heisst, schlägt mich JETZT jemand, darf ich JETZT zurück schlagen. Wenn mich gestern der Nachbar verhauen hat, darf ich nicht, wenn er mir morgen über den Weg läuft, ihm eine reinhauen. Das ist nicht mehr gegenwärtig, das der Angriff in der Vergangenheit liegt, nicht mehr andauert.
Er muss rechtswidrig sein. Rechtswidrig heisst, er muss sich gegen meine körperliche Unversehrtheit (meine Gesundheit, ich soll nicht verletzt werden, etc.) richten, gegen meinen Besitz, gegen meine Ehre (letzteres ist eher schwierig), mein Leben oder meine Freiheit. Bröseln wir das mal von oben auf:
körperliche Unversehrtheit – wenn mich jemand angreift, muss ich davon ausgehen verletzt zu werden, leicht oder schwer, evtl. kann ich sogar sterben, ich muss dazu nach einem Schlag nur dumm fallen. Dagegen darf ich mich wehren. Wenn derjenige unverhofft ausholt und mir eine reinhaut ist der fall klar. Wenn aber jemand drohend, fuchtelnd und schreiend auf mich zukommt, so dass ich davon ausgehen muss, er schlägt mich gleich, was ist dann. Strenggenommen ist das schon ein rechtswidriger, gegenwärtiger Angriff. Wenn ich ihn jetzt also niederstrecke, habe ich eigentlich alles richtig gemacht. Aber in der heutigen Zeit gibt es überall unfassbar neugierige Menschen, viele haben ihr Handy immer griffbereit. Nun kommt jemand schreiend auf mich zu, ich zertrümmere ihm eben den Kehlkopf, bin unverletzt und 10 Leute haben auf ihrem Handy, das ich zuerst geschlagen habe. Auch denkbar, ich verpasse meine Chance, er haut mich mit einem gut gezielten Schlag um, dreht sich um und geht weg. Ich stehe auf, schüttel mich und schlage ihn von hinten in den Nacken. Das ist KEINE Notwehr mehr, da der Angriff nicht mehr gegenwärtig, sondern abgeschlossen ist. Lässt er sich stattdessen auf die Knie herab, um mir den Rest zu geben, ist der Angriff gegenwärtig.
mein Besitz – ich habe gerade Geld am Automaten gezogen, da verdunkelt sich die Sonne und hinter mir baut sich jemand auf, der wenig freundlich und sehr bestimmt klar macht, das mein Geld jetzt sein Geld ist.
Direkt vorweg: wegen Geld oder Gegenständen (Handy, Auto, Papiere) würde ich mich nicht zwingend auf einen körperliche Auseinandersetzung einlassen. Vielleicht hat er noch Freunde im Hintergrund, ein Messer in der Tasche, etc. Materieller Besitz ist ersetzbar, das Leben nicht.
Trotz allem ist das gegenwärtig und richtet sich gegen meinen Besitz, ich bin in einer Notwehrsituation. Gebe ich ihm das Geld, er geht weg und ich ziehe ihm vom hinten einen Schirm über, ist das verständlich, aber illegal.
meine Ehre – und da steht er wieder, beleidigt meine Mutter, sie hätte zügellose Beziehungen zu allen Männern aller Nationalitäten, redet mein Gemächt klein, … Auch das ist eine Notwehrsituation. Hier kommen wir aber schnell an Grenzen, da Notwehr auch verhältnismässig sein muss und man das schwächste, zur Verfügung stehende Mittel wählen muss. Heisst, auf ein „deine Mutter pflegt Verkehr mit 100 Männern gleichzeitig“ ist ein gezielter Kopfschuss nicht verhältnismässig. Ein am Kragen greifen und ihm deutlich machen, welche unfassbaren körperlichen Schmerzen er zu erwarten hat, wenn er nicht ruhig ist, dagegen schon.
mein Leben – wer kennt das nicht, man macht einen Schaufensterbummel, da kommt von hinten langsam ein Wagen angefahren, jemand schiesst mir in der Rücken und der Wagen fährt weg. Zumindest in Amerika soll es Viertel geben, da passiert sowas. Wenn man das mitbekommt, befindet man sich in einer Notwehrsituation. In Deutschland wird es eher passieren, dass man versucht, uns vor einen Zug zu schubsen, und mit einem Messer abzustechen, etc. Insbesondere bei Messerangriffen, mit die gefährlichsten Angriffe die man sich vorstellen kann, ist quasi fast alles an Gegenwehr erlaubt.
meine Freiheit – auf der Dating Plattform mal wieder nen Psychopaten kennengelernt und statt der versprochenen, ausgefallen Liebesspiele die versprochen waren, ist man jetzt im schalldichten Keller mit Handschellen an die Heizung gekettet und bekommt 3x täglich eine Kleinigkeit zu essen gebracht. Auch hier befindet man sich in einer astreinen Selbstverteidigungssituation. Und wenn wenn man dem Entführer die Beine wegtritt, um ihn dann ran zuziehen und den Schlüssel wegzunehmen, der dabei aber doof mit dem Kopf auf die Heizung geschlagen ist, dann ist er das halt.
Ich denke jedem ist klar, das ist jetzt etwas überspitzt. Die entscheidende Frage ist doch, muss ich mich erst schlagen lassen, muss der andere mein Geld erst haben, muss ich den ersten Messerstich eingesteckt haben, muss ich mich erst in den abgedunkelten Transporter ziehen lassen, bevor ich mich wehren darf
Klares JEIN!
Wenn ihr angegriffen werdet habt ihr einen Sekundenbruchteil, euch zu entscheiden, was ihr macht. Wenn das ganze dann vor Gericht landet, schätzt ein Richter die Situation ein, er schaut sich von vorne an und von hinten, von rechts und von links, von oben und von unten. Er spielt 50 Szenarien durch, was ihr hättet machen können, stundenlang. Und dann fällt er sein Urteil, ob das, was ihr gemacht habt, ok war.
Dazu gilt die Verhältnissmässigkeit. Wenn mich jemand schlägt, ist erschiessen nicht verhältnissmässig. Ihr solltet also, wenn möglich und ihr noch entsprechend handlungsfähig seid, nicht s schlimmeres machen, als der Angreifer. Es gibt noch die Option in der Notwehr, dass ihr, wen ihr sehr verängstigt oder geschockt wart, keine Grenzen berücksichtigen müsst, aber das nachzuweisen dürfte nahezu unmöglich sein, daher lasse ich da hier mal ausser acht.
Meine ganz persönliche Einschätzung (die aber jeder für sich selber treffen muss): kann ich absehen, dass die Situation darauf hinaus läuft, das ich gleich ein echtes Problem bekomme, schlage ich zuerst. Und zwar aus folgendem Grund. Keiner wird sich freisprechen können, dass man in so einer Situation unter Stress steht, Panik hat, einem tausend Sachen nach dem wie und warum durch den Kopf gehen. Ich weiss nicht, wie wird der Gegner angreifen, muss mich gegen einen unbekannten Angriff verteidigen und aus der Verteidigungsposition einen Gegenangriff starten. Das das gut geht, ist sehr unwahrscheinlich. Wenn ich aber weiss „der will mir ans Leder“ und schlage daher – wie auch immer – zuerst, bin ich in der taktisch wesentlich besseren Position, dann jetzt bestimme ich die Handlung und der Angreifer muss sich verteidigen und daraus zurück schlagen. Seine Idee, wie er dich angreift, ist damit unterbrochen. Ein Zitat, dass man Mike Tyson zuschreibt ist „jeder hat einen Plan, bis man ihm ins Gesicht schlägt“. Heisst, der Angreifer hat sich genau ausgemalt, was er machen möchte. Einen rechten Schwinger an den Kopf, eine Gerade mitten ins Gesicht und dann immer wieder in euch reintreten. Wenn er hier unterbrochen wird ist sein schöner Plan dahin.
Meine Empfehlung, wenn die Zeit reicht (siehe Zuschauer und Handy), macht sehr deutlich, dass ihr die guten seid. Kommt jemand wutschnaubend auf euch zu, haltet die Hände vor den Körper, geht zwei Schritte zurück und schreit ihn an „lass mich in Ruhe, geh weg“. Warum das?
Jemand kommt wutschnauben auf euch zu, ihr haut ihn um, er schreit vor Schmerzen, alle drehen sie um und sehen:
– jemanden (den ursprünglichen Angreifer) der schmerzverzehrt auf dem Boden liegt
– jemand anderen (euch), der mit Siegerpose über ihm steht, bereit hm mehr zu geben
– der Eindruck der Zeugen: ihr hab den armen Kerl umgehauen und wollt ihm noch mehr geben
Jemand kommt wutschnaubend auf euch zu, ihr schreit ihn an, er soll euch in Ruhe lassen, alle drehen sich um und sehen:
– jemanden (euch) in Abwehrposition, der sich mit den Händen schützen möchte, rückwärts geht und schreit
– jemand anderen (den Angreifer), der trotzdem aggressiv auf euch zukommt
– dann haut ihr den Angreifer um
– der Eindruck der Zeugen: ihr wolltet keinen Ärger, hat ihn sogar angebettelt euch nichts zu tun, er hat nicht reagiert, ihr musstet euch wehren
Das „Hände vor den Körper und einen Schritt zurück gehen“ eine Angriffsposition ist, weil ich euch für den bevorstehenden Angriff positioniert, wird niemand so einschätzen. Damit ist euer Erstangriff durch Zeugen als Verteidigung (die er ja auch ist) bestätigt.
Oder wie ich mal von einem Trainer hörte: „nach einer Verteidigung setze ich mich lieber mit einem Richter auseinander, als mit einem Arzt auf der Intensivstation„.